„Grabe, wo du stehst.“ ist der Leitsatz zweier Projektgruppen des Hilda-Gymnasiums in Pforzheim. Die Schul- und Stadtgeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus zu erforschen, haben sich die Schülerinnen mit ihren Geschichtslehrern zur Aufgabe gemacht. Dabei haben sie Kontakt zu Zeitzeugen und Nachfahren aufgenommen und Dokumente aus Archiven und Nachlässen ausgewertet, um den Schicksalen ein Gesicht zu geben. Über 60 jüdische Schülerinnen und vier Lehrkräfte besuchten zwischen Ende der 1920er Jahre und 1938 die Hildaschule. Viele konnten fliehen oder wurden nach ihrer Deportation gerettet. Fünf Schülerinnen und eine Lehrerin wurden in Auschwitz ermordet.

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Bereits im Jahr 2018 wurde das Projekt „Spurensuche“ initiiert, das die Schul- und Stadtgeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus recherchiert. Die Schülerin Annsophie Schmidt begab sich zusammen mit Herrn Rühl auf Spurensuche. Sie recherchierten die Lebensgeschichten von 48 jüdischen Schülerinnen und Lehrkräften in der Zeit des Nationalsozialismus.

Sie waren Ausgrenzung und Demütigungen ausgesetzt, bis sie gezwungen wurden, die Schule zu verlassen. Viele konnten rechtzeitig ins Ausland fliehen oder wurden nach ihrer Deportation gerettet. Fünf Schülerinnen und eine Lehrerin wurden in Auschwitz ermordet. Um den Lebensgeschichten nachzugehen, werteten Annsophie und Herr Rühl Quellen aus dem Generallandesarchiv Karlsruhe, dem Stadtarchiv Pforzheim sowie dem Schularchiv aus. Des Weiteren nahmen sie Kontakt zu Nachfahren in unterschiedlichen Ländern auf.

Annsophie interviewte Familienangehörige geflüchteter oder ermordeter Hildaschülerinnen in Argentinien, Brasilien, Australien, England, den USA und Österreich. „Die Eindrücke durch den Kontakt zu Nachfahren haben uns sehr bewegt“, gesteht Annsophie. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr der Besuch von Elly Krieg. Sie lebt in Australien und besuchte im Frühjahr 2018 Pforzheim, um die Geschichte ihrer im Jahr 1938 geflohenen Mutter Lieselotte Krieg aufzuarbeiten. Im Rahmen des Besuchs wurde Elly die Hildaschule gezeigt.

Annsophie nutzte die Gelegenheit und führte mit Lieselottes Tochter ein Interview. Das Treffen hat bei Annsophie und ihrem Geschichtslehrer Herrn Rühl bleibenden Eindruck hinterlassen. Die Ergebnisse ihrer Recherchen fassten sie in einem 236 Seiten umfassenden Erinnerungsbuch zusammen, das im März 2020 mit dem Georg-Simler-Preis der Stadt Pforzheim ausgezeichnet wurde.

Video: Spurensuche in Zürich

Die Spurensuche geht nun weiter. Inzwischen haben sich zwei neue Projektgruppen gebildet.

Während eine Gruppe an einem Kurzfilm über die Thematik arbeitet, recherchiert die zweite weitere Biographien ehemaliger Schülerinnen der 1920er und 1930er Jahre, darunter die tragische und noch nicht endgültig geklärte Lebensgeschichte der Schülerin Martha Bracher aus Mühlacker. Sie absolvierte im Jahr 1939 das Abitur an der Hildaschule und zog später nach Straßburg, um sich an der dortigen Universität zur medizinisch-technischen Assistentin ausbilden zu lassen. Laut Zeitzeugenaussagen aus den 1950er-Jahren verschwand sie nach einer Auseinandersetzung mit dem dortigen Professor Eugen Haagen. Einige Monate später sahen ihre Kommilitoninnen sie wieder – auf dem Seziertisch der Anatomie in Straßburg. Inzwischen wurde seitens der dortigen Gedenkstätte bestätigt, dass Martha im KZ Schirmeck inhaftiert war. Dennoch sind weiterhin viele Fragen ungeklärt.

Generell stoßen die Schülerinnen immer wieder auf Hürden bei der Recherche. „Ein sehr großes Problem ist, dass die Schulunterlagen beim Angriff am 23.Februar 1945 zerstört wurden“, sagt Schülerin Emma Eisemann.

„Klassenlisten und Schuldokumente bekommen wir meist nur über langwierige Umwege. Manchmal überlassen uns Nachfahren von ehemaligen Schülerinnen Klassenzeitungen oder Fotos, aus denen wir Rückschlüsse auf Personen ziehen können“, ergänzt Nina Dieterle.

Die Erinnerung wachzuhalten, ist für die Projektteilnehmerinnen ein zentrales Anliegen. Somit kommt nicht nur der Recherche, sondern auch der Darstellung eine wichtige Rolle zu. In Planung ist eine Internetseite, die Einblicke in die Biografien und die Schulgeschichte dieser Zeit geben soll. Ebenso werden im kommenden Jahr fünf Stolpersteine im Schulhof verlegt. Diese erinnern an die in Auschwitz ermordeten Schülerinnen.

In Zusammenarbeit mit dem Kunstlehrer Herrn Adler soll in der Schule ein Erinnerungskunstwerk entstehen, das die Schicksale unser ehemaligen Schülerinnen vor dem Vergessen bewahren soll. Und bis dahin hofft das Spurensuche-Team darauf, dass in Pforzheimer Familienarchiven noch weitere Fundstücke auftauchen, die den Schülerinnen bei ihrer spannenden Recherche helfen.

Autor: Martin Rühl

Projekt-Blog

Gedenkfeier zur Pogromnacht – Erinnerungskultur mit MrWissen2Go

MrWissen2Go – mit bürgerlichem Namen Mirko Drotschmann – steht alleine auf der Bühne des Hilda-Gymnasiums. Er spricht zur vollbesetzten Aula, […]

Mai 2020 – Rückblick Projekt Spurensuche

Ich wünsche mir, dass das Buch "Spurensuche" dazu bewegen kann, für unsere Demokratie im Alltag einzustehen und entschlossen gegen jegliche Form der Diskriminierung vorzugehen. Unsere ehemalige Schülerin Annsophie blickt zurück auf das Projekt Spurensuche.

Bücher und Film

Die Bücher „Spurensuche“ und „Tagebuch 1933“ der Projektgruppe „Geschichte aktiv“ erschienen am 9. November 2021 und können unter „spurensuche@hilda-bw.de“ bestellt werden.

Spurensuche: 15 Euro zzgl. Versand
Tagebuch 1933: 13 Euro zzgl. Versand

Ebenso feierte die Dokumentation zum Buch am 8. November 2021 Premiere im Kommunalen Kino Pforzheim. Hier gelangen Sie zum Teaser (1min, Youtube-Link): https://www.youtube.com/watch?v=h9LNTDcWxyE
Weitere Informationen erhalten Sie auf der Sonderseite des Projekts.

Spurensuche

Die „Spurensuche“ ist ein Schülerprojekt von Annsophie Schmidt. Gemeinsam mit dem Geschichtslehrer Martin Rühl zeigt sie die Lebenswege der jüdischen Schülerinnen und Lehrenden der Hildaschule Pforzheim auf. Diese waren in der Zeit des Nationalsozialismus an ihrer Schule der Ausgrenzung bis hin zur völligen Isolation ausgesetzt, bis sie letztendlich gezwungen wurden, die Schule zu verlassen. Einige konnten ihr Leben retten, andere fanden den Tod. 

Im vorliegenden Projekt wurden bewegende Biografien recherchiert, an fast vergessene Schicksale erinnert, Zeitzeugen und Nachfahren befragt und die Ergebnisse in Form einer Erinnerungsschrift zusammengestellt. 

Tagebuch 1933

Februar 1933. Ein deutscher Patriot begreift die tiefgreifenden Umbrüche, die sich in Deutschland vollziehen. Als Jude ist er jedoch plötzlich ein Ausgeschlossener. Der Weltkriegsveteran und Gymnasialprofessor Dr. Fritzmartin Ascher weigert sich dennoch, sein Vaterland zu verlassen. Die Ereignisse dieses Frühjahrs hält er in seinem Tagebuch fest.

Ausgrenzung auf der einen, vereinzelt Solidarität auf der anderen Seite – Ascher und seine Familie erleben unzählige Demütigungen, er selbst überlebt das Dritte Reich als Straßenkehrer, Milchkutscher und Totengräber. Nach dem Krieg gelangt er zurück in Amt und Würden, kann den Wiederaufbau als Bürgermeister mitgestalten und kehrt zurück in den Beruf, den er immer als Berufung verstand.