Vera roch nach Terpentin erinnert sich die Enkelin an ihre Großmutter. Die Rede ist von Vera Joho, die zusammen mit ihrem Mann Bert Joho das Pforzheimer Künstlerleben der 1920er/30er-Jahre bedeutsam prägte. Die Nationalsozialisten machten ihre Kunst als „artfremd“ und „volksfeindlich“ verächtlich, aber zum Glück blieb die Erinnerung an sie erhalten und Generationen von Hilda-Schülerinnen und -schülern kennen den Anblick der Keramik-Wandbilder, die nach Entwürfen von Vera Joho gefertigt wurden. Seit Anfang der 1950er-Jahre schmückten sie die Flure im Vorgänger-Gebäude und wurden nach dessen Abriss 2012 auf sehr gelungene Weise in das neue Schulhaus integriert. In den lichten Gängen in eigens dafür geschaffenen Nischen gewinnen die „Wasserwelt“, der „Frühling“, die „Tänzerin“ und die „Badende“ eine neue ästhetische Anmutung.
Durch die Initiative der ehemaligen Hilda-Schülerin Brigitte Dabelstein und ihre Mitschülerinnen erhielt unsere Schule nun ein weiteres Werk der Künstlerin: „Mädchen im weißen Kleid“ (1937, Tempera auf Papier, 40 x 60 cm). Vera Joho hatte ihre Tochter Virginia als Zehnjährige porträtiert.
Mit leicht zur Seite geneigtem Kopf blickt sie den Betrachter an. Ernst und selbstbewusst erscheint mir ihr Blick, vielleicht mit einer Spur von Trotz. Auch Virginia Joho besuchte die Hilda-Schule wie zuvor schon ihre Mutter, als die Schule noch „Privat- Töchterinstitut“ hieß.
Jetzt, am 22. Januar 2020, sind zur Übergabe des Bildes an unsere Schule außer den Stifterinnen auch die Joho-Enkelinnen Liane Reinshagen-Joho, Olivia Reinshagen-Hernández und Amélie Reinshagen-Plaehn aus Argentinien bzw. den USA angereist. Liane Reinshagen zeichnete in ihrem unterhaltsamen Grußwort die Großmutter als warmherzige, temperamentvolle Frau, deren Liebe zu Echtheit und Natürlichkeit sich in ihrer Lebensweise und in ihrem Werk niederschlug.
Die kleine, aber feine und heitere Feier der Bildübergabe umrahmten Anna-Lena Rentschler und Lisa Klammer mit zwei Stücken auf der Querflöte, der „Fantasie“ von Orlando di Lasso und einem Andante von Raffaele Galli.
Und Vera Johos „Virginia“ fand an diesem Nachmittag gewissermaßen Gesprächspartner: Im Kunstunterricht der 9. Klassen waren unter der Leitung von Frau Eppinger Selbstporträts entstanden. Self-identity als künstlerische Aufgabe – sehr persönlich erzählen Janina Bakci, Jonathan Lies und Alexander Vogel von ihren Produkten im Austausch mit sich selbst.
In dem Moment ergab sich eine Art Dialog zwischen ihren Selbstporträts und dem Virginias, des Mädchens im weißen Kleid,
das seinen Platz in unserer Bibliothek als Blickfang gefunden hat und nun ihrerseits auf die Schülerinnen und Schüler ihrer ehemaligen Schule blickt.
In gewisser Weise schließt sich hier ein Kreis und ich bin Frau Dabelstein und ihren Mitschülerinnen, insbesondere aber auch den Joho-Enkelinnen Liane, Olivia und Amélie sehr dankbar, dass sie uns mit dieser schönen Gabe die vielen verschiedenen Beziehungen und Verbindungen, die unsere traditionsreiche Schule mit Zeiten und Menschen hat, im wahrsten Sinne vor Augen führen.